Fortsetzung Rasseportrait von Adolf Kraßnigg (Seite 3)

Tibet Terrier in Europa

 Beide Zuchtrichtungen sind von Anfang an in den europäischen Linien vertreten. Die englische Ärztin Dr. Agnes Greig erhält von adeligen Tibetern die Hündin Bunti/Bunty zum Geschenk, die eindeutig aus der Nomadenzucht kommt. Bald darauf erwirbt sie vom Buddiman Lama den Rüden Thoombay (of Ladkok), einen hervorragenden Vertreter der Klosterzucht. Frau Greigs Hunde bestimmen seit ihrer Registrierung beim Britischen Kennel Club im Jahre 1930 bis heute die gesamte europäische Zucht.

 

Und bis heute hat sich auch die große Bandbreite der Herkunft unserer Tibet Terrier in Farbe, Gestalt, Größe, Form und Wesen bewahrt. Nicht als „Designer-Modell“ ist er entstanden, sondern aus der Weiterzucht originaler tibetisch-asiatischer Vorfahren. Mindestens 18 solcher Originale bestimmen die Ahnenschaft der europäischen Tibet Terrier. Sie differieren in der Farbe von weiß über rehbraun (tan) bis schwarz sowie mehrfarbig, aber auch in ihrer Größe und den Formen. Der kleinste mit einer Widerristhöhe von 30cm war zweifellos R’Apso, ein 1947 in Deutschland als „outcross“ eingesetzter Rüde. Heute werden Größen von 35,6cm bis 40,6cm als Standard angesehen.

Gegensatz zur falschen Namensgebung zeigte der Britische Kennel Club bei der Formulierung des Standards das richtige Augenmaß. Er verzichtete auf jede Einseitigkeit und bestätigte in den Rassemerkmalen - bis heute - die Vielfalt des Erscheinungsbildes unseres Tibet Terriers. Wer also als Laie unverhofft in das Gewimmel eine Spezialzuchtschau für tibetische Hunderassen gerät, der mag es auf den ersten Blick gar nicht glauben, dass die 50 oder mehr Hunde, die als Tibet Terrier paradieren, auch wirklich zu ein und derselben Rasse gehören! Doch in der Vielfalt des Erscheinungsbildes bewahren wir einen kostbaren genetischen und ästhetischen Schatz.

 

Asiatisch-europäisches Wesen

In der nun mehr als 70 Jahre währenden europäischen Zuchtgeschichte haben sich die heutigen Nachkommen der originalen Tibet Terrier durch Zuchtauswahl im Wesen ein wenig verändert. Ursprünglich zeigten sich die Hütehunde der Nomaden und die Begleiter der Mönche zwar als ausgesprochen treu, anhänglich und freundlich gegenüber den eigenen Leuten, aber um so reservierter gegenüber Fremden. Das war schließlich ihre Pflicht als Wachhunde! Bei uns aber ist der Tibet Terrier im Verhalten aufgeschlossener und offener geworden; eine zwangsläufige Folge des europäischen Ausstellungswesens. Dort werden Hunde bevorzugt, die sich auch einem fremden Richter gegenüber optimal präsentieren.

 

Lamleh und Luneville

Wer sich näher mit dem Tibet Terrier befasst, kommt an zwei Begriffen nicht vorbei: Lamleh und Luneville. Dabei handelt es sich um zwei bis heute gepflegte europäische Zuchtlinien. Lamleh stammt von Dr. Greig, Luneville von dem englischen Ehepaar Downey. Beide Linien standen in Konkurrenz, und Luneville lief den Lamlehs noch bis vor ca. 12 Jahren den Rang ab. Doch seit dieser Zeit sind die Lamlehs wieder machtvoll ins europäische Zuchtwesen zurückgekehrt.

Aber der Streit hie Lamleh, da Luneville ist ziemlicher Unsinn! Von Anfang an bestand die Luneville-Linie zu mindestens 75% aus Lamlehs von Dr. Greig. Moderne Züchter sagen: „Wir züchten Tibet Terrier, nicht Lamleh und nicht Luneville, und das heißt gesunde, instinktsichere Hunde von festem Wesen, kraftvoll und elegant zugleich, mit super Haarqualität!“ Die Produkte dieser Zuchtphilosophie beweisen ihre überragende Qualität. Allen voran Ski-La-Kyi Norbu (tibetisch = schwarzer Edelstein), der Weltsieger von 1996 und Heruka von Lu-Khang, einem Spitzenrüden des deutschen KTR in den letzten Jahren. Beide sind eine gelungene Verbindung der besten Tibet-Terrier-Eigenschaften aus allen Linien!