Der Tibet Terrier - Ein Rasseportrait von Adolf Kraßnigg

Der erste Eindruck täuscht

 Kennen Sie den Tibet Terrier? Wenn nicht: Vergessen Sie ganz schnell das meiste, was ihnen gerade beim Anblick der Fotos spontan in den Sinn gekommen ist! Nein, der Tibet Terrier ist kein Kuschelhund und erst recht kein Dekor für die heimische Couch - auch wenn das wegen seiner prachtvollen Haare so erscheinen mag. Nein, unser Tibeter jagt auch nicht als Terrier Hasen oder Füchse oder anderes Wild in Wald und Feld. Die Bezeichnung Terrier ist falsch und schuld daran sind mal wieder die Engländer vom Britischen Kennel Club: Weil sie auch bei exotischen Hunden immer nur die Abbilder der eigenen Rassen suchen! Und selbst die Frage, ob wir im Tibet Terrier überhaupt einen Rassehund nach europäischem Verständnis sehen können, lassen wir vorläufig unbeantwortet.

Warum das so ist, lässt sich erklären. Nehmen wir zum Vergleich als Inbegriff moderner Hunderassen den Deutschen Schäferhund und den Boxer. Beide Rassen entstanden gleichsam am Reißbrett, sind echte „Designer-Rassen“, obwohl zu ihrer Zeit dieser angelsächsische Begriff noch kein Allgemeingut war. Bedeutende Züchterpersönlichkeiten, beim Deutschen Schäferhund der Freiherr Max von Stephanitz, beim Boxer eine Dreiergruppe, entwickelten präzise Vorstellungen von ihrem gewünschten Hund: Welche Leistungen er bringen, welche äußere Erscheinung, welche Wesens- und Charaktermerkmale er haben sollte und aus welchen anderen Rassen und Schlägen ihr Hund heraus gezüchtet werden musste.

 Streng kontrolliert bis heute von einflussreichen Zuchtvereinen entstand jeweils ein Rassehund, der ständig nach klar definierten Körper- und Wesensmerkmalen selektiert wird. Hier haben die üblichen Rassebeschreibungen, die oft ja nur Idealtypen zeichnen, eine breite reale Basis.

 

Apso statt Terrier

 Ganz anders beim Tibet Terrier. Reisen Sie heute mal in die Autonome Region Tibet, - den kläglichen Rest von Tibet, den das mörderische chinesische Besatzungsregime noch übrig gelassen hat. Auf den Straßen von „Lhassa“ könnten Sie durchaus Hunden begegnen, die unserem Tibet Terrier sehr ähnlich sehen und sogar in jeder europäischen Ausstellung bestünden - falls man sie vorher entfilzt. Doch fragen Sie Einheimische nach dem Tibet Terrier, werden Sie nur auf Unverständnis stoßen. Eine solche Hunderasse kennt man in Tibet nicht, und überhaupt keine Hundezucht entsprechend den Formstandards nach europäischem Muster.

 Apso, lange Schnauzbärte, so nennen die Tibeter ihre kleinen, langhaarigen Hunde, und diese sind für sie außerordentlich kostbar. Das sind Hunde von der Art unseres Tibet Terriers, aber ganz besonders die kleinen Apso, die wir in die Kategorien Lhasa Apso, Tibet Spaniel oder Shi Tau (nicht Shi Tzu) einordnen. Findet man noch manchmal in den Städten Tibet Terrier in der Öffentlichkeit, verbergen die Tibeter jedoch ihre kleineren Apso sorgfältig - vor den Chinesen! Unvergessen ist das Trauma massenhafter Hundevernichtungen zu Beginn der Besatzungszeit. Ein Ziel dieser barbarischen Aktionen war es offenbar, den seelischen Widerstand der Tibeter zu brechen.

 Im abgelegenen Land jedoch, den Tälern des Kun-lun-shan, Hindukusch oder Himalaya etwa, aber auch den Steppenweiden des Changthan wird ein Apso als Stolz des ganzen Dorfes, des Lagers oder Klosters selbst dem Fremden präsentiert - wenn er nicht gerade Chinese ist. Denn die „Schnauzbärte“ genießen eine ungewöhnliche Verehrung. Unbedarfte westliche Beobachter haben das sogar mit der Vorstellung verwechselt, den Tibetern seien Hunde heilig. Das aber ist falsch!